hervorragend formuliert. auf den punkt gebracht. auf den wasser und auch sonst sind wir alle gleich und trotzdem andersartig. und das ist gut und wunderschön so!

Sexismus im Paddelsport – wir schauen hin. Und handeln.
Veröffentlicht
Text: Maud Verboven, inspiriert von Gesprächen mit Charlotte Zulauf – zwei Kajaklehrerinnen der Kanuschule Versam
Wie zeigt sich Sexismus im Paddelsport – und was können wir dagegen tun?
Dieser Blog beleuchtet strukturelle Probleme, persönliche Erfahrungen und liefert Ideen für mehr Sichtbarkeit, Respekt und Gleichstellung in unserer Szene.
1. Ein Vorfall, der vieles zeigt
Ein gefeierter Kajakstar – jung, gesponsert, hochgelobt – wird wegen Gewalt gegen eine Frau verhaftet.
Und viele sagen: „Wir wussten es – schon lange.“
Was wirklich schockiert: das Schweigen drumherum.
Nicht nur das Verhalten ist das Problem – sondern das System, das es deckt.
Er war technisch brillant – und genau das scheint für viele Marken zu zählen. Haltung? Egal.
Und: So etwas passiert nicht nur in den USA.
2. Ein Einzelfall? Nein – ein Muster
Realität – auch in der Schweiz
📊 BFS 2024 – Kriminalstatistik
Über 21.000 Fälle häuslicher Gewalt – fast 60 pro Tag. Viele werden nie gemeldet.
70–80 % der Opfer sind Frauen.
73 % aller Tötungsdelikte im häuslichen Bereich betreffen Frauen.
📊 BFS 2024 – Sexualdelikte
Vergewaltigungen stiegen 2024 um 29 %, schwere Körperverletzungen um 17 %.
In 80–90 % der Fälle ist der Täter eine männliche Bezugsperson – meist Partner, Ex-Partner oder ein Mann aus dem nahen sozialen Umfeld.
Die Entwicklung ist klar - Gewalt gegen Frauen nimmt zu.
Ich habe keine Angst, von meinen Kollegen oder Paddle-Buddies umgebracht zu werden.
Darum geht’s nicht.
Die Zahlen oben sollen nicht schockieren – sondern zeigen:
Gleichstellung ist immer noch Thema. Auch bei uns.
Es ist Zeit, das Thema klar zu benennen – und offen darüber zu sprechen. Ohne Fingerzeig, ohne Opferrolle. Aber mit dem Mut, Verantwortung zu übernehmen.
Wir müssen hinschauen, wo das Problem beginnt –
bei Respektlosigkeit, bei alten Rollenbildern, beim Schweigen.
3. Es beginnt früher, als viele denken
Vorstufen der Gewalt
Oft übersehen – aber spürbar:
- Respektlosigkeit & Vertrauensentzug
Deine Einschätzung wird ignoriert – bis ein Mann dasselbe sagt. - Sexistische Kommentare & Gaslighting
„War doch nur ein Witz – chill mal!“ - Schweigen im Umfeld & Grenzüberschreitungen
Er macht anzügliche Sprüche – die Gruppe lacht verlegen, schweigt danach.
Kurz gesagt:
Es ist (noch) keine Gewalt – aber es ist der Boden, auf dem sie wächst.
Und wer wegschaut, schützt den Status quo.
Übrigens: Es ist auch nicht okay, wenn solche Muster Männer, nicht-binäre oder trans Personen treffen.
Respekt ist nicht verhandelbar – für alle.
4. Respektlosigkeit sieht oft harmlos aus – ein Beispiel vom Wasser
Giarsun & Ardez. Zwei Frauen paddeln.
Ein Mann fragt am Einstieg, ob er mitkommen darf.
Unsere Ansage ist klar:
„Gern – aber bleib bitte hinter uns. Und wenn’s dir zu viel wird, steig bei der Brücke in Giarsun aus.“
Dann kommen die Sprüche:
„Ich bin noch nie hinter einer Frau gefahren – geht das überhaupt?“
„Seid ihr sicher, dass ihr das könnt?“
Er kommentiert ständig, drängt sich vor, ignoriert jede Absprache, macht Show.
Wir fahren ruhig, sicher. Machen unser Ding.
Ignorieren sein Verhalten – einfach weiterpaddeln.
Am Ausstieg:
Vor seinen Shuttlebunny-Kumpels stellt er sich als unser Retter dar.
Er habe uns „runterguiden“ müssen – ohne ihn hätten wir’s nicht geschafft.
Gelächter. Auf unsere Kosten.
Und wir?
Still. Nicht, weil es okay war – sondern weil wir es gewohnt sind.
Es ist ja nichts passiert. Wir denken dasselbe: Ach je, komm – einfach ignorieren, runterschlucken, drüberstehen.
Falsch!
Genau so bleibt alles beim Alten.
Ich hab nichts gesagt. Und das ärgert mich.
Denn mein Schweigen hat genau das unterstützt:
Ein Klima, in dem Respekt bröckelt –
und Schweigen wie Zustimmung wirkt.
So schräg es klingt:
Dieser Typ hat mir gezeigt, was mir fehlt. Danke!
Nicht mit Absicht – aber unübersehbar:
Haltung. Stimme. Klare Grenzen.
5. Warum viele Frauen nichts sagen
Viele Frauen sagen in solchen Momenten nichts.
Studien zeigen seit Jahrzehnten: Die Muster sind tief verankert.
(Nicht so) Fun Facts:
- Doppelte Standards & Angst vor negativen Reaktionen
Wer schweigt, gilt als schwach. Wer redet, schnell als aggressiv, empfindlich oder schwierig. Ein klassisches Dilemma.
→ Jamieson, 1995 / Tannen, 1990 / Williams & Tiedens, 2016 / Rudman & Glick, 2001 - Machtgefälle & Angst vor Konsequenzen
Wer unten steht, widerspricht ungern nach oben. Besonders wenn Job, Status oder Zugehörigkeit auf dem Spiel stehen.
→ Keltner et al., 2003 / Morrison, 2014 / Cortina & Magley, 2003 / Berdahl, 2007 - Früh gelernt – und allein gelassen
Schon früh lernen viele: „Sei freundlich. Stör nicht. Lächeln hilft.“
Und wenn niemand reagiert, fühlt man sich allein. Also schweigt man beim nächsten Mal.
→ Ridgeway & Correll, 2004 / Butler, 1990 / Stirling & Kerr, 2009 / Drury et al., 2014 - Anpassen statt anecken
Viele passen sich an, um dazuzugehören – in Gruppen, Crews oder Kursen.
Gleichzeitig glauben manche unbewusst selbst, nicht zuständig oder nicht kompetent genug zu sein.
→ Asch, 1956 / Cialdini & Goldstein, 2004 / Steele, 1997 / Eagly & Karau, 2002
Wenn Frauen sich klein machen, nett bleiben und mitlächeln,
gilt das als normal – angepasst, harmlos, bequem für andere.
Aber: Nett ist nicht Respekt.
Viele Frauen spüren längst, was Studien zeigen:
Schweigen hält den Status quo am Leben.
Reden bringt Veränderung.
Und wer hinschaut, fordert: Respekt. Sichtbarkeit. Fairness.
6. (Nicht so) Fun Facts – wissenschaftlich belegt
-
Frauen müssen mehr leisten, um als kompetent zu gelten
→ Ridgeway & Correll, 2004 -
Männer reden mehr – auch wenn sie nicht mehr wissen
→ Zimmerman & West, 1975 / Karpowitz & Mendelberg, 2014 -
Weniger Sichtbarkeit, weniger Preisgeld
→ z. B. North Fork Championship 2019 -
Gleiche Arbeit – weniger Lohn
→ Swiss Olympic 2023 / Outward Bound UK
7. Mehr als Nouria – wir brauchen viele Vorbilder
Nouria Newman.
Pionierin. Weltklasse-Athletin. Wasserfälle. First Descents.
Sie sagt:
„Vulnerability is a superpower.“
Aber:
Eine ist nicht genug.
Wir brauchen viele Rollenmodelle – so wie Männer sie ganz selbstverständlich haben.
8. Strukturen ändern – nicht nur Menschen
Was Organisationen, Marken & Vereine tun können:
-
Klare Regeln & Null-Toleranz-Kultur
-
Geschulte Führung & Vertrauenspersonen
-
Mehr Frauen in Verantwortung & gemischte Teams
-
Gleicher Lohn – gleiches Preisgeld
→ Brackenridge 2001 / Swiss Olympic 2020 / Vertommen et al., 2016
9. Unterm Strich: Dieser Sport gehört auch uns
Das ist kein Jammern –
sondern ein Aufruf, in Bewegung zu kommen: hinschauen, verstehen, handeln.
Denn unsere noch immer von Männern dominierte Paddel-Community hat Potenzial. Es geht nicht um Opferrollen – sondern um Respekt.
Gewalt und Respektlosigkeit sind auch dann nicht okay, wenn sie Männer, nicht-binäre oder trans Personen treffen.
Ja – wer mitlächelt, stört nicht.
Wer still bleibt, fällt nicht auf.
Aber wer nicht auffällt, kann nichts mitgestalten.
Und wenn alle schweigen, kann vieles geschehen –
wie im Fall des gefeierten US-Paddlers, dem schwere Übergriffe vorgeworfen wurden. Viele wussten davon. Niemand sagte etwas.
Es geht nicht um Sonderbehandlung.
Nicht um mehr – sondern um das, was allen zusteht:
gleiche Chancen, gleiche Sichtbarkeit, gleicher Respekt.
Das ist kein Angriff.
Sondern der Wunsch nach einem Paddelsport,
der Vielfalt willkommen heisst und Haltung zeigt –
im Verein, in der Firma, am Fluss, im Sponsoring.
Wo nicht nur Technik zählt, sondern auch, wie wir miteinander umgehen.
Jetzt du:
Was denkst du? Schreib uns, sag deine Meinung, gib Feedback.
Denn Veränderung beginnt mit dem Gespräch.
Quellen & Literatur
Strukturelle Mechanismen & Rollenbilder:
-
Ridgeway, C. L. & Correll, S. J. (2004): Unpacking the Gender System. Gender & Society.
-
Butler, J. (1990): Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity.
-
Williams, M. J. & Tiedens, L. Z. (2016): The Subtle Suspension of Backlash. Psychological Bulletin.
-
Rudman, L. A. & Glick, P. (2001): Prescriptive Gender Stereotypes and Backlash Toward Agentic Women. Journal of Social Issues.
Kognitive Mechanismen & Schweigen:
-
Swim, J. K. & Hyers, L. L. (1999): Excuse Me – What Did You Just Say?! Journal of Experimental Social Psychology.
-
Festinger, L. (1957): A Theory of Cognitive Dissonance.
Soziales Umfeld & Machtverhältnisse:
-
Stirling, A. E. & Kerr, G. A. (2009): Abuse in Sport: A Systematic Review. Child Abuse & Neglect.
-
Drury, B. J., et al. (2014): The Role of Social Support in Coping with Sexual Harassment. Basic and Applied Social Psychology.
-
Weiss, K. G. (2010): Too Ashamed to Report: Deconstructing the Second Assault.
Statistiken zur Schweiz:
-
Bundesamt für Statistik (BFS) (2024): Kriminalstatistik & Sexualdelikte.
-
Bundesamt für Gleichstellung von Frau und Mann (EBG): Diverse Berichte zu Gewaltprävention.
Bezahlung & strukturelle Ungleichheit im Sport:
-
Swiss Olympic (2023): Gender Budgeting & Lohngleichheit im Sport.
-
Outward Bound UK (2021): Equity and Inclusion Report.
Veränderung durch Führung & Kultur:
-
-
Brackenridge, C. (2001): Spoilsports – Understanding and Preventing Sexual Exploitation in Sport.
-
Alexander, K., Stafford, A., & Lewis, R. (2011): Developing and Implementing Safeguarding Policy in Sport.
-
Vertommen, T. et al. (2016): Interpersonal Violence in Sport – Prevalence and Prevention Strategies.
-
Eagly, A. H. & Carli, L. L. (2007): Through the Labyrinth – The Truth About How Women Become Leaders.
-
Karpowitz, C. F. & Mendelberg, T. (2014): The Silent Sex – Gender, Deliberation, and Institutions.
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Kommentare
Danke!
Hey lieben Dank, dass ihr die Situation so gut auf den Punkt bringt!
Danke für diesen prägnanten Beitrag! Viele Frauen werden sich darin wiederfinden. Es bleibt noch viel zu tun.
Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag und eure Stimme! 🫶 Wisst ihr was ganz toll wäre: Eure Reichweite und Plattform zu nutzen, um Vernetzungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Das wär mega!
Toller Betrag, danke!
Super geschrieben und toll thematisiert ihr dieses wichtige Thema👌 Haltung entscheidet
Habe vielen Dank dafür. Ja, auch im Kajaksport wird es höchste Zeit dass sich was ändert. Ich bin dabei !
Danke Maud und Charlotte, bleibt zu hoffen, dass ein (grosser) Teil des Anstiegs der Gewalttaten in den Statistiken daher kommt, dass das Schweigen weniger wird, das Problem benannt wird und die Scham die Seite wechselt.
Danke! Ich habe im Paddelsport 3 Jahre narzisstischen Missbrauch durch eine männliche Täterperson erfahren. Und wegen anhaltender Respektlosigkeiten durch andere ältere männliche Personen bin ich aus dem Verein ausgetreten. Das Problem ist strukturell. Danke für die Benennung.
Das ganze Verhalten ist Menschen unwürdig. Oft denke ich dass sich nur die Frau in den letzten Jahrhunderten weiter entwickelt hat. Mann laß dir gesagt sein: "Du kannst das auch".
Hey Danke für den tollen und wichtigen Beitrag! Diversität und gegenseitiger Respekt macht dich so viel mehr Sinn und Spass. Auf und neben dem Wasser!
Hey Maud, guter Text! Und Humor kann auch anders sein, ohne dass jemand dabei unter die Räder kommen muss. Wenn nur eine Person in der Gruppe sich schlecht fühlt, ist es schon zu viel!
Ein Thema, das sich leider immer noch durch unsere Gesellschaft zieht. Wichtig ist dran zu bleiben und in den entsprechenden Situationen nicht zu schweigen. Das erfordert meistens mehr Mut als Mitläufertum.
Liebe Beide, danke für euer Engagement und den Artikel! Hier gerne ein Link für Vernetzung - ich durfte Elisha und Alan letztes Jahr kennen und schätzen lernen. lg, Christoph https://www.worldwidewomenofwhitewater.org/